Mit dem Nachtzug nach Bukarest
Reisen mit dem Nachtzug – was verbindet ihr damit? Abenteuerlust, ein lauwarmes Bier im Bordbistro, spannende Begegnungen mit Wildfremden, schmale Pritschen und Rückenschmerzen, den Roman von Pascal Mercier oder mitternächtliche Grenzkontrollen?
Während der SZ-Autor Jakob Schulz schreibt, „die Magie der Zugreisen“ (…) habe „sich im Nachtzug unsichtbar gemacht“, behaupte ich genau das Gegenteil: Gerade im Nachtzug entfaltet sich die Magie des Reisens am besten! Es ist eine beinahe nostalgische Art zu reisen: Fenster lassen sich noch öffnen, der Fahrtwind zerzaust die Haare und der Geruch von ungeölten Bremsen breitet sich aus. Das Bordrestaurant besticht zwar nicht unbedingt durch Sauberkeit, dafür umso mehr durch die hausgemachte Ciorba (Suppe) der Chefin. Außerdem ergeben sich hier interessante Unterhaltungen mit anderen Reisenden. Nachts um halbvier poltern ungarische Grenzbeamte ins Abteil und morgens bringt der Schaffner einen Kaffee vorbei, von dem man schon beim ersten Schluck Herzrasen bekommt. Tagsüber tuckert der Zug mit etwa 20 km pro Stunde durch die rumänische Prärie.
Ich schaue zum Fenster hinaus, lasse die Landschaft und meine Gedanken vorbeiziehen und fühle mich, als hätte ich gerade zum zwanzigsten Mal „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Sten Nadolny gelesen. Eigentlich will ich gar nicht ankommen, sondern genieße das Unterwegssein im Nirgendwo. Nach zwölf Stunden Tiefschlaf, den auch die Grenzbeamten nur bis zum nächsten Atemzug stören konnten, bin ich so entspannt wie eine „menschgewordene Hängematte in Mittelstellung“1– und das trotz des rumänischen Kaffees!
Ihr fragt euch jetzt bestimmt, warum wir unseren Urlaub ausgerechnet in Rumänien verbracht haben und dann auch noch mit dem 28 Stunden Zugfahrt auf uns genommen haben, statt einfach in das Flugzeug zu sitzen, oder?
Unsere Entscheidung hatte erstmal rein praktische Gründe: Wir wollten ans Meer, hatten aber nichts reserviert und in Mitteleuropa war alles ausgebucht. Fliegen kam nicht in Frage, da ich die Klimaanlage nicht vertrage. So fiel die Wahl drei Tage vor Abfahrt auf Rumänien, was wir nicht bereut haben!
Für die Reiselustigen und Rumänieninteressierten unter euch habe ich einige Bilder und am Ende der Posts noch ein paar Reisetipps zusammengestellt.
Am Schwarzen Meer gibt es viele naturbelassene Strände, die jedoch nicht gerade sauber sind.
Das Donaudelta ist ein Paradies für verschiedene Vogelarten.
Typisch für das Donaudelta sind die schilfgedeckten Häuser.
Tiere werden meist im Freien gehalten
Das Gemüse schmeckt viel aromatischer als bei uns.
Die Stadt Iassi im Norden Rumäniens (Moldawien) ist definitiv einen Abstecher wert.
Wer sich für Kirchen interessiert, kommt hier voll auf seine Kosten.
Bauwerke aus sozialistischen Zeiten können auch Charme haben.
Die Karpaten in Transsilvanien auch ohne einen Besuch im Dracula-Schloss ein interessantes Ziel.
Interessante Reiseziele in Rumänien:
- Wer am Schwarzen Meer ausspannen will, findet in Mamaia saubere Strände mit sehr guter Wasserqualität, die von vielen einheimischen Touristen besucht werden. Die Unterkünfte sind dort aber überteuert, weswegen wir etwas außerhalb übernachtet haben.
- Für Naturliebhaber bietet sich ein mehrtägiger Aufenthalt im Donaudelta an. Viele Orte sind hier nur per Boot zu erreichen.
- Die Stadt Iassi hat ein angenehmes, lebendiges Flair und verbindet Kirchen, sozialistische Bauwerke mit modernen Shopping-komplexen.
- Ein Abstecher wert ist sicherlich das Ostereimuseum in Vama, allerdings haben wir es nicht mehr bis dorthin geschafft.
- Das angebliche Dracula-Schloss Bran hat sich zum rumänischen Disneyland entwickelt, das ihr getrost auslassen könnt, es sei denn, ihr steht auf Bärenfelle, Vampirkostüme, überteuerte Eintrittspreise und stundenlanges Anstehen.
- In den Karpaten in Transsilvanien könnt ihr lange Wanderungen unternehmen, ohne einer Menschenseele zu begegnen (und Bären haben wir auch nicht gesehen).
- In Bukarest hat uns besonders das Freilichtmuseum „Muzeu satului“ gefallen, in dem Häuser aus verschiedenen Regionen Rumäniens originalgetreu nachgebaut wurden. Es befindet sich im Park Herastrau in der Nähe des gleichnamigen Sees.
Allgemeine Reisetipps für Rumänien:
- Hinweise auf preiswerte Unterkünfte (20-25 Euro pro Doppelzimmer) hängen am Straßenrand aus, Vorbuchungen sind meist nicht notwendig. Diese günstigen Zimmer sind im Normalfall sauber und deswegen durchaus zu empfehlen.
- Die rumänische Küche ist einfach, aber schmackhaft. Sehr gern habe ich Ciorba de legume (Gemüsesuppe) und gegrillten Fisch gegessen, besonders im Donaudelta gibt es davon eine tolle Auswahl (Zander, Wels, Hecht u.a.). Wer weder Polenta noch Kartoffeln mag, könnte ein Problem bei der Auswahl von Beilagen haben!
- Fußgänger sollten einen Stock dabei haben, um streunende Hunde abzuwehren, die tatsächlich recht aufdringlich werden können.
- Wer mit dem Auto unterwegs ist, sollte auf Pferde- und Eselkarren achten, die in vielen Orten noch ein Standardtransportmittel sind.
Ich hoffe, eure Reiselust ist geweckt!
1Sebastian 23: „Rapide Rapante“: sehr gelungener Poetry Slam, der die Wirkung von Kaffee anschaulich beschreibt
2 Kommentare
Stephanie Erhardt
So schöne Bilder und toll geschrieben! Da bekomme ich glatt Fernweh! Schön, dass du uns an diesen Erlebnissen teilhaben lässt!
Liebe Grüße
Stephie
Amely
Danke, das freut mich!
Liebe Grüße,
Amely