Das Ich im Netz – Digitale Selbstdarstellung
Bis vor einem knappen Jahr hatte ich keinen Twitter-, Pinterest- oder Instagram-Account und besuchte Facebook nur alle paar Monate. Als Profilbild nutzte ich ein verschwommenes und unkenntlich gemachtes Foto. Meine einzigen vier Postings lauteten etwa so:
„Hallo Leute, ich werde mich bei Facebook abmelden. Wundert euch nicht, wenn ihr nichts mehr von mir hört.“
Ein paar Monate später: „Hallo zusammen, ich habe mein Passwort vergessen. Manchmal kann ich mich trotzdem bei Facebook einloggen, was mein Vertrauen in die Seite nicht gerade stärkt. Ich will mich bei Facebook abmelden, aber ohne Passwort geht es nicht.“
Ein halbes Jahr später: „Hallo an alle, ich habe mein Passwort wieder gefunden. Weiß jemand, wie man sich bei Facebook abmelden kann?“
Ein Jahr später: „Das mit dem Abmelden von Facebook habe ich inzwischen aufgegeben. Aber aus Versehen habe ich Unterwäschen-Werbung aus den 80-iger Jahren geliked und das Foto davon wird dauernd in meiner Chronik angezeigt. Wie bekomme ich das wieder weg?“
(Das Foto der Unterwäschen-Werbung hält sich übrigens hartnäckig – ich weiß immer noch nicht, wie ich es löschen kann.)
Meine digitale Selbstdarstellung hätte man also eher als digitale Selbstverhüllung bezeichnen können.
Jetzt, ein dreiviertel Jahr später, sieht die Lage anders aus:
Ich schreibe einen Blog, habe eine öffentliche Facebook-Seite eingerichtet und kommentiere auf anderen Blogs munter drauf los – überall mit meinem vollen Namen und mit Foto!
Doch warum das alles? Was treibt uns dazu, Fotos und Informationen aus unserem Leben öffentlich zu machen?
Wir leben nicht mehr richtig, einfach so in der Realität, wir leben als künstlich aufgeblähte Inszenierungen auf Facebook oder Twitter oder sonstwo im digitalen Nirvana, wir blähen uns und unser Leben zum permanenten Event auf: Schaut her, was ich Tolles gekocht habe, guckt, wie ich lebe, wie wunderbar mein Urlaub war! Das ist zum Lebensersatz geworden. (Raimund Allebrand im Podcast „Das Medium ohne Botschaft“)
Raimund Allebrand stellt die These auf, die digitale Selbstdarstellung sei ein Ersatz für das echte Leben. In der Zeit, in der ich Fotos von meinem Mittagessen, von der letzten Reise, vom Treffen mit Freunden bearbeite, hochlade, beschreibe und poste, kann ich schließlich weder essen, noch reisen oder Freunde treffen. Die Pflege der sozialen Netzwerke und das Vorbereiten von Blogbeiträgen brauchen jede Menge Zeit – Zeit, die im echten Leben fehlt?
Außerdem kritisiert Allenbrand, dass wir im Netz nicht unser reales Leben abbilden, sondern eine „künstlich aufgeblähte Inszenierung“. Tatsächlich werden auf Instagram wahrscheinlich selten Fotos von überquellenden Wäschekörben oder gelben Säcken gepostet. Vielmehr zeigen die User kunstvoll in Szene gesetzte Wohnarrangements oder mit Photoshop aufgehübschte Selfies. Dadurch, dass nur die positiven Seiten des Lebens und der Person beleuchtet werden, entsteht beim unbedarften Betrachter schnell der Eindruck einer perfekten Fassade. Gerade bei Jugendlichen kann das zu Selbstzweifeln und Unsicherheiten führen.
Mit dem Satz „Schaut her, was ich Tolles gekocht habe, guckt, wie ich lebe, wie wunderbar mein Urlaub war!“ prangert Allenbrand außerdem die Ichbezogenheit der heutigen Internet-Gesellschaft an. Anstatt unseren Blick auf die anderen zu richten, sind wir ständig damit beschäftigt, den Blick der anderen auf uns selbst zu lenken. Verlieren wir dabei die Mitmenschen und das Weltgeschehen aus den Augen?
Obwohl mir diese Nachteile durchaus bewusst sind, habe ich mich dennoch entschieden, einen Blog zu eröffnen. Ich lese verschiedene Blogs – sie unterhalten und informieren mich, machen mich nachdenklich, erfreuen oder inspirieren mich, und das alles völlig kostenlos! Einen eigenen Beitrag zu diesem Angebot zu leisten anstatt nur zu konsumieren, finde ich schön.
Nicht verzichten möchte ich außerdem auf den interessanten Austausch, der sich durch das Bloggen ergeben hat, sei es über Kommentare, Mails oder direkten Kontakte. Es ist inspirierend, Leute kennen zu lernen, die ähnliche Interessen haben.
Weiterhin sehe ich den Blog als geeigneten Anlass, um meine Fähigkeiten weiterzuentwickeln oder neu zu entdecken. Mir macht es Freude, mich mich in Themenbereiche wie Fotografie, WordPress oder Design einzuarbeiten. Auch wenn ich das alles völlig ohne professionellen Anspruch betreibe, lerne ich doch täglich ein bisschen dazu.
Meine Hauptmotivation ist jedoch, dass das Bloggen für mich ein Ventil darstellt, durch das ich meine Ideen und meine Kreativität zum Ausdruck bringen kann. Bis vor einiger Zeit habe ich jedes Jahr ein oder mehrere Musicals, Musiktheaterstücke oder Konzerte auf die Bühne gebracht. In diese Projekte flossen jede Menge Ideen und Kreativität, in Form von selbstgeschriebenen Texten, arrangierten oder komponierten Musikstücken und Choreographien. Wahrscheinlich würde ich das heute noch so machen, wenn ich nicht aus gesundheitlichen Gründen diese Projekte aufgeben hätte müssen. Das ist einerseits schade, andererseits haben sich dadurch andere Wege der kreativen Entfaltung ergeben wie zum Beispiel dieser Blog. Ich glaube, ohne dieses Ventil würde ich platzen wie eine zu lang gekochte Weißwurst!
Die Gefahr, dass das echte Leben gegenüber dem Blog zu kurz kommt, besteht bisher noch nicht. Eher andersherum, was sich dann auch daran bemerkbar macht, dass mehrere Wochen kein neuer Beitrag erscheint.
Dass der Blog kein Abbild meines Lebens ist, sondern lediglich einen kleinen Ausschnitt zeigt, stört mich nicht. Schließlich achtet man auch im realen Leben darauf, in welchem Kontext man sich wie präsentiert und würde zum Beispiel nicht im Schlafanzug zum Bäcker gehen. (Obwohl, warum eigentlich nicht? Vielleicht wäre es eine interessante Feldstudie:))
Die von Allenbach genannte Ichbezogenheit, die mit der medialen Selbstinszenierung einher gehen kann, betrachte ich mit einer Mischung aus Faszination und (Selbst)Kritik. Die Menschen haben schon immer eine Gegenwelt zur Realität entworfen, sei es durch Literatur, Musik oder Kunst. Diese virtuelle Welt ermöglichte eine Flucht aus dem Alltag, und eine Verwechslung der beiden Welten blieb nicht aus. Ein prominentes Beispiel dafür ist Miguel de Cervantes Figur Don Quichotte, der so viele Ritterromane gelesen hat, dass er die Welt quasi durch das Visier eines Ritterhelms betrachtet: So hält er schäbige Spelunken für prunkvolle Schlösser, Windmühlen für furchteinflößende Riesen und Hammelherden im Staub für angriffslustige Kriegsheere. Die Verwechslung von Realität und Fiktion hat für Don Quichotte unangenehme Folgen (meist in Form gebrochener Gliedmaßen), ebenso wie für den heutigen Internetnutzer. Wer seine Facebook-Freunde für echte Freunde hält, wird spätestens beim nächsten Umzug eines besseren belehrt, da niemand beim Möbelschleppen hilft. Neu ist jedoch, dass jeder selbst zum Autor und Protagonisten seines virtuellen Lebensromans wird. Welchen Einfluss hat das auf unser Leben, unsere Persönlichkeit und unsere Wahrnehmung der Welt?
Viele Grüße ins digitale Nirvana,
Amely
Interessante Podcasts zum Thema:
SWR2 Wissen: Das Medium ohne Botschaft
SWR2 Wissen: Folgen der Selbstdarstellung
Verlinkt: Freutag
4 Kommentare
Silvia
Ja, der Blog ist ein winzigkleiner Ausschnitt des Lebens, ein kleiner Teil von mir. Aber einer, der im Netz viele Gleichgesinnte findet und somit viele neue Ideen bekommt und viel Lernen kann. In der echten Welt würde vieeeel Zeit ins Land gehen, um soviele peers zu finden, mit denen man sich zu einem bestimmten Thema so intensiv austauschen und lernen kann. Richtig genutzt, ist das doch toll!
Amely
Ja, das sehe ich genauso, Silvia!
Liebe Grüße,
Amely
Fröbelina
So ein interessantes Thema! Schön, dass du es aufgegriffen hast! Was Herr Allenbach sagt ist sicher wahr. Bei solchen globalen Angriffen des Internets fehlt mir allerdings oft der Hinweis darauf, dass man nicht wirklich eine Wahl hat. Man kann nicht mehr so leben wie vor 10 Jahren, es gibt kein zurück. Ich bin nirgendwo angemeldet und das merke ich auch. Für mich ist das okay, aber so vieles geht an mir vorbei. Nur über den Blog tausche ich mich aus. Den schreibe ich aber bewusst und mit Spaß und dann ist das okay. Soziale Netzwerke sind auch okay, wenn man bewusst und mit Spaß an ihnen teilnimmt. Gut, dann ist da noch die Sache mit den Daten die nicht mehr sicher sind. Aber das ist ja wieder ne andere Geschichte.
Liebe Grüße und danke für den Post! 🙂
Katharina
Amely
Liebe Katharina, danke für deinen interessanten Kommentar! Du hast recht, das Internet kann man heutzutage nicht vermeiden, muss man ja auch nicht. Man muss allerdings nicht unbedingt Bilder und Texte von sich auf Blogs oder sozialen Netzwerken präsentieren. Vor einem Jahr habe ich noch gedacht, es kommt für mich gar nicht in Frage. Jetzt will ich nicht mehr darauf verzichten! Wie du schreibst, wenn man es bewusst und mit Spaß macht, ist es gut! Es hat halt alles seine Vor- und Nachteile, und ich beleuchte die gern kritisch. Ausgehend von dem Beitrag kann man sicher noch viele weitere Themen aufgreifen, zum Beispiel das der Datensicherheit…
Liebe Grüße,
Amely